Impulse für eine Reform der Innovationspolitik

Warum wir eine Reform der Innovationspolitik brauchen

Mit dem wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg Chinas, der Krise des Multilateralismus und "Peak Globalisation" sowie der Amtsübernahme der neuen US-Administration verschärft sich der internationale Wettbewerb weiter. Die Performanz nationaler Innovationssysteme gewinnt an Systemrelevanz, technologische Souveränität wird immer wichtiger. Das heißt auch für Deutschland: 

Wir brauchen ein leistungsfähigeres Innovationssystem mit mehr Wirkung, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Gleichzeitig erleben wir technologisch, gesellschaftlich und politisch eine weitere Beschleunigung. Auch nimmt die Unsicherheit über Entwicklungspfade und anstehende Disruptionen zu. Beispielsweise stellen Large Language Modells in wenigen Monaten bestehende Geschäftsmodelle fundamental in Frage, geopolitische Abhängigkeiten in der Rohstoffversorgung oder in der Zulieferkette zentraler Komponenten können durch politische Krisen (z. B. zwischen China und Taiwan) sehr schnell zu existenziellen Krisen der deutschen Wirtschaft werden, der weltweite Automobilmarkt kann innerhalb kurzer Zeit durch die Marktmacht chinesischer Anbieter kippen. Resilienz gegenüber diesen Dynamiken gewinnt ebenfalls an Relevanz. Das bedeutet: 

Wir müssen die Strategiefähigkeit unseres Innovationssystems und seiner Akteure deutlich erhöhen, um dieser Dynamisierung vorausschauend zu begegnen.

Im internationalen Vergleich büßt Deutschland Stück für Stück an Innovationsstärke ein, Outcome und Impact der Innovationspolitik nehmen – insbesondere in den Spitzentechnologien oder bei Startups – relativ zu den entscheidenden internationalen Wettbewerbern ab. Gleichzeitig werden auf der Input-Seite die dringend benötigten Mittel zur Innovationsförderung aufgrund knapper Haus-halte und konkurrierender Bedarfslagen weniger. Das führt direkt zur Schlussfolgerung: 

Wir brauchen erheblich mehr Effizienz im Innovationssystem, um mit geringeren Mitteln mehr Wirkung zu erzielen.

Warum die bisherige Diskussion zu diesem Thema uns nicht weiterführt

Nach Jahren der Kontinuität hat sich die innovationspolitische Diskussion um eine Reform der deutschen Innovationsförderung in der vergangenen Legislaturperiode deutlich intensiviert. Debattenbeiträge betrafen vor allem großformatige, strukturelle bzw. institutionelle Reformen, die konzeptionell zwar sehr schlüssig formuliert waren, sich in ihrer Realisierbarkeit aber häufig als nicht hinreichend durchdacht herausstellten. Das zeigen die Debatten um (Disruptions-, Transfer- oder Missions-) Agenturen und die langwierigen und bis heute nicht immer erfolgreich abgeschlossenen Umsetzungen derselben ebenso wie die Diskussionen um eine radikale Neuordnung der Zuständigkeiten der Innovationspolitik der Binnenstruktur der zentralen Institutionen (Ressort-Neuordnung, Stärkung des Kanzleramtes). Für eine schnelle und in der Breite des Innovationssystems wirksame Optimierung sind diese Diskussionsbeiträge vermutlich nicht hinreichend geeignet. Das heißt umgekehrt: 

Wir brauchen realitätsnahe, aber dennoch ambitionierte Reformen der Innovationspolitik, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schnelle Umsetzung und breite Wirkung zeigen.

Warum schlankere und effizientere Prozesse der Förderung wichtig und machbar sind, aber zentrale Herausforderungen nicht lösen werden

Deutlich schlankere Verfahren in der Projektförderung (für Antragstellende, Zuwendungsempfänger, Ministerien und Projektträger) sind dringend notwendig und machbar. Sie sind von veränderten Rahmenbedingungen abhängig (veränderte Auslegung des Vergaberechts und gezielte Änderungen desselben, veränderte Verwaltungspraxis bei Förderreferaten und Projektträgern, beschleunigte Digitalisierung und Einführung von KI, neue Förderformate). Diverse Vorschläge für entsprechende Reformen (digitale Antragsverfahren, veränderte Berichtspflichten) liegen bereits seit längerem auf dem Tisch. Sie werden Effizienzgewinne für alle Seiten mit sich bringen, sind aber voraussichtlich nicht der zentrale Hebel für eine notwendige Steigerung der Leistungsfähigkeit des Innovationssystems, und zwar aus folgenden Gründen: 

  • Die bisherigen Verfahren werden von den Akteuren, insb. den Zuwendungsempfängern, zwar zum Teil als schwerfällig, aufwendig und langwierig beschrieben, gleichwohl ist die Nachfrage nach Fördermitteln ungebrochen hoch, die Förderprogramme des Bundes sind überzeichnet und in der Lage, eine Besten-Auswahl zu treffen. Schlankere Verfahren werden also voraussichtlich nicht grundsätzlich etwas an der erreichten Zielgruppe der Zuwendungsempfänger ändern. 
  • Reformen könnten tatsächlich zu einer Beschleunigung bestimmter Prozessschritte (z. B. des Antrags- und Bewilligungsprozesses) führen, wie best practice Beispiele (ZIM) zeigen. Mit Blick auf den Gesamtprozess von der Veröffentlichung eines Förderaufrufs bis zum Projektabschluss machen diese Prozessschritte aber oft nur einen kleinen Teil aus, wesentliche Prozesse wie die aufwendige Suche nach Konsortialpartnern oder die Einstellung von Projektmitarbeitenden in Universitäten lassen sich kaum verkürzen. 
  • Gleiches gilt für mögliche Effekte einer Prozessoptimierung auf die übergreifende Ressourcenlage. Die tatsächlichen Verwaltungskosten, die bei den Antragstellern, Zuwendungsempfängern und Projektträgern anfallen, machen nur einen kleinen Teil der verwendeten Ressourcen aus und sind nicht beliebig minimierbar. Jeder Effizienzgewinn ist hier zu nutzen und baut Frustrationen ab – die zunehmend schwierige Budgetlage in Hinblick auf Innovationsförderung wird sich mit diesen Optimierungen kaum lösen lassen. 

Eine erhebliche Steigerung der Effizienz zentraler Prozesse bleibt also eine notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Voraussetzung für ein leistungsfähigeres Innovationssystem. Ergänzt werden muss diese Effizienzsteigerung durch deutlich risikofreudigere Auswahlverfahren (siehe nächster Impuls). Das heißt:

Wir müssen schnell alle erreichbaren Effizienzgewinne heben, dürfen uns davon aber keine hinreichende Optimierung des Innovationssystems versprechen.

Warum veränderte Auswahlverfahren ein entscheidender Ansatzpunkt für eine echte Leistungssteigerung des Innovationssystems sind

Wenn Mittel knapper werden und sich über Prozessoptimierungen nur geringe Zusatzressourcen heben lassen, muss aus den verwendeten Fördermitteln mehr Impact entstehen. Damit werden Auswahlverfahren deutlich wichtiger, um tatsächlich diejenigen Projekte zu fördern, die den maximalen Impact bringen. Letztlich ist dies auch der zentrale Ansatz der SPRIND, allerdings auf Prozessen aufsetzend, die nur bedingt für das ganze Fördersystem skaliert werden können. Am Ende wird auch ein Erfolgsfaktor von 1:10 nicht genügen. Im Grundsatz wird es darum gehen, die Risikoorientierung zu stärken – Beispiele wie das neue Österreichische Programm „Expedition Zukunft“ der FFG, das bewusst auf riskante, disruptive Innovationen setzt, zeigen, dass solche Instrumente auch im System der Projektträger umsetzbar sind. In diesem Sinne gilt:

Nur bei einer größeren Risikoorientierung in der Auswahl von Projekten in der Breite können wir die Wirkung der Innovationsförderung entscheidend erhöhen.

Warum die Strategiefähigkeit des Innovationssystems auch etwas mit der Unabhängigkeit von Projektträgern zu tun hat

Der Blick über den nationalen Tellerrand zeigt, dass Innovationsagenturen und Projektträger in den meisten Innovationssystemen starke Partner der Politik sind, die durch langjährige Kompetenz und eine ebenso langfristige Perspektive und Kontinuität über die Tagespolitik hinaus die Strategiefähigkeit der Politik deutlich erhöhen. Bestimmte Voraussetzungen dafür wie mehrjährige Budgets sind in Deutschland (noch) nicht gegeben, andere Elemente wie eine relativ große Entscheidungsautonomie sind (siehe Beleihung von Projektträgern) nur teilweise umgesetzt. Darüber hinaus dürften auch kulturelle Faktoren dazu beitragen, dass ein strategischer Input von Projektträgern bislang nur zum Teil nachgefragt wird. Wenn aber die Strategiefähigkeit des deutschen Innovationssystems tatsächlich erhöht werden soll, heißt das:

Wir müssen den Projektträgern mehr Autonomie zutrauen, damit sie als strategiefähige Partner das Innovationssystem stärken können.

Warum mehr Wirkung manchmal auch mehr Aufwand braucht

Auch wenn knappere Budgets zu schlankeren und effizienteren Prozessen führen müssen, bleibt doch auch die Nutzenmaximierung im Blick zu behalten. Eine intensive Unterstützung von Geförderten im richtigen Moment kann den Mehraufwand wert sein, wenn sich so die Erfolgswahrscheinlichkeiten erhöhen, die Verwertungsoptionen verbessern und die Wirkungen steigern lassen. Dies kann z. B. eine aktive Unterstützung bei der Partnersuche oder Beratung für eine bessere Antragstellung umfassen, Vernetzungsaktivitäten innerhalb eines Programms, aktives Partnering bei der Suche nach Verwertungspartnern und Investoren oder eine Unterstützung bei der Suche nach Anschlussförderung entlang des Verwertungspfades, zum Beispiel für Gründungen aus FuE-Projekten. Für den Mehrwert dieser Ansätze liegen vielfache Beispiele aus dem Inland (Begleitforschungen, Unterstützung der SPRIND etc.) und Ausland (siehe z. B. „Expedition Zukunft“ der FFG) vor. Das bedeutet für eine künftige Innovationsförderung: 

Wir müssen den Impact der Projektförderung gezielt mit unterstützenden Maßnahmen steigern, gerade durch eine einer stärkeren Disruptions-Orientierung.

Warum trotz allem strukturelle Reformen nicht aus den Augen zu verlieren sind

Auch wenn schnelle Reformen der Innovationsförderung mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit und guter Skalierbarkeit Priorität haben sollten, werden manche Herausforderungen nur durch systemische und strukturelle Ansätze anzugehen sein. Eine klare Schwäche des deutschen Innovationsfördersystems ist z. B. seine Komplexität in Hinblick auf Instrumente, aber auch Akteure (vertikale Ebenen, Ressorts und Projektträger) mit einem unzureichenden Schnittstellenmanagement. Solange es keine „große“ Reorganisation der Zuständigkeiten und Programmvielfalt gibt, müssen andere Lösungswege gewählt werden, wie z. B. die Stärkung von Lotsendiensten, die Verstärkung der Kooperation zwischen Akteuren (Ressorts wie Projektträgern), aber möglicherweise auch dem sukzessiven Aufbau kritischer Massen an Programmen durch die Zusammenlegung kleinteiliger Maßnahmen. 

Wir sollten neben schnellen Reformen auch strategisch an einer langfristigen Reform des Innovationssystems arbeiten.

Warum wir diese Reformen schnell anpacken müssen und dennoch mehr Evidenz brauchen

Neben dem enormen externen Handlungsbedarf zur Dynamisierung des Innovationssystems, der keinen Aufschub duldet, legt auch der politische Zeitplan ein schnelles Handeln nahe. Zeitfenster für umfangreichere Reformen tun sich nur zu Beginn von Legislaturperioden auf, im Anschluss bleiben dann maximal 3 Jahre für die Umsetzung. Allerdings zeigt die bisherige Reformdiskussion auch, dass für manche Aspekte die notwendige Informationsgrundlage für entsprechende Reformschritte noch zu schaffen ist. Ein Beispiel ist die Forderung des letzten Koalitionsvertrags, schneller zu Projekten zu kommen, den Time-to-Grant also deutlich zu verkürzen. Ein entsprechender Indikator sollte in die Zukunftsstrategie aufgenommen werden, konnte aber bislang nicht operationalisiert werden, da es keine übergreifenden Daten dazu gibt. Ähnliches gilt für die Frage, in welcher Höhe Verwaltungskosten eigentlich angemessen sind. Die hier z. B. im Rahmen von Evaluationen angesetzten 5% des Fördervolumens sind nicht empirisch hergeleitet, tatsächlich fehlen vergleichende Analysen oder gar eine empirische Bestimmung eines Optimums. Zuletzt bleibt also festzuhalten:

Wir werden langfristig mit einer Reform der Innovationsförderung nur dann Erfolg haben, wenn wir unser Verständnis dazu verbessern und schnell mehr Evidenz schaffen, anstatt auf einfache Setzungen zu bauen.