Medizintechnik bildet das Rückgrat unserer Gesundheitsversorgung und ist ein relevanter Wirtschaftsfaktor in Deutschland: Von bildgebenden Verfahren über minimalinvasive Therapien bis zu Implantaten ermöglichen technologische Innovationen präzisere Diagnosen, schonendere Behandlungen und bessere Lebensqualität für Patientinnen und Patienten. Dabei durchläuft die Medizintechnik einen rapiden Wandel. Mit der Digitalisierung und dem Einsatz von KI in der Medizintechnik entstehen neue Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung1.

Hersteller klassischer, hardwarebasierter Systeme, die auf maximale Sicherheit und Robustheit ausgelegt sind, müssen mit den rasanten Entwicklungen schritthalten. Immer häufiger kommen Software und IKT-Technologien in der Medizintechnik zum Einsatz, die datengetriebene, KI-gestützte Systeme für individualisierte Medizin, Prävention und Früherkennung ermöglichen. So wirkt Medizintechnik umfassend auf diagnostische und therapeutische Prozesse ein und beeinflusst damit das gesamte Gesundheitsökosystem. Mit dieser Entwicklung verschwimmt auch die Grenze zwischen klassischer Medizintechnik und dem gesamten Feld der e-Health bzw. Digital Health Anwendungen.

Gleichzeitig bleibt Medizintechnik ein streng regulierter Bereich: Gesetzliche Vorgaben wie das europäische Medizinproduktegesetz (engl. medical device regulation - MDR) und damit verbundene Normen schaffen einen Rahmen, in dem Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Geräten und Systemen oberste Priorität haben. Digitale Gesundheitslösungen im zweiten Gesundheitsmarkt werden hingegen von einer Nutzenwahrnehmung aus Verbraucherperspektive (z. B. Usability) sowie mit Blick auf skalierbare Geschäftsmodelle entwickelt. Mit dem Inkrafttreten der KI-Verordnung zeichnen sich weitere tiefgreifende Veränderungen ab, auch für eHealth-Anwendungen, die bislang nur in Einzelfällen als Medizinprodukte eingestuft werden. Regulatorische Neuerungen betreffen sowohl die Entwicklung als auch die Zulassung, Überwachung und Weiterentwicklung KI-gestützter Systeme. Sie eröffnet Chancen, aber stellen Hersteller und Anwender jedoch auch vor neue Herausforderungen.

Medizintechnik: Abgrenzung, Schnittstellen und regulatorische Einordnung

Begriffe wie Digital oder eHealth sowie digitalen Gesundheits- oder Pflegeanwendungen (DiGA/ DiPA) stehen für neue Versorgungsansätze, in denen Medizintechnik zunehmend im Spannungsfeld von Digitalisierung, KI-Einsatz und sich wandelnden Versorgungsstrukturen agiert. Daraus resultieren Definitions- und Abgrenzungsfragen.

Medizintechnik bezeichnet das Forschungs- und Innovationsfeld der Entwicklung, Herstellung und Anwendung technischer Systeme, Geräte und Verfahren in der Gesundheitsversorgung. Es handelt sich meist um Medizinprodukte, also Erzeugnisse mit medizinischer Zweckbestimmung für die Anwendung am Menschen. Medizinprodukte reichen von einfachen Verbandstoffen und Instrumenten bis hin zu komplexen Geräten wie Röntgensystemen oder Herzschrittmachern; auch Software kann ein Medizinprodukt sein. Die Herstellung und das Inverkehrbringen solcher Produkte unterliegen der Medical Device Regulation (MDR, EU-Verordnung 2017/745) ergänzt in Deutschland durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG). Diese Vorschriften beinhalten genaue Anforderungen an Sicherheit, Leistung und Überwachung von Medizinprodukten. Hersteller müssen z. B. ein Qualitätsmanagementsystem etablieren und Verpflichtungen zur Marktüberwachung befolgen, um die Patientensicherheit zu gewährleisten. Erst nach Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte in Verkehr gebracht werden.

eHealth und Digital Health erweitern das Feld deutlich:  Etwa um Anwendungen, die zur Behandlung und Betreuung von Patienten Informations- und Kommunikationstechnologien einsetzen, wie elektronische Patientenakten, Telemedizin/-pflege-Plattformen oder klinische Entscheidungsunterstützungssysteme. Digital Health (auch in Abgrenzung zu eHealth) bezieht dabei den privaten Lebensbereich von Menschen stärker ein und somit auch Software und Dienste für die persönliche Gesundheitsförderung und Prävention im Alltag, wozu u. a. Gesundheits-Apps für Fitness, Entspannung oder Ernährungsmanagement zählen. Digital Health umfasst demnach auch Anwendungen, die keine im engeren Sinne medizinischen Zwecke verfolgen und als Medizinprodukte reguliert sind.

Eine Software zur Überwachung einer chronischen Erkrankung oder zur Unterstützung einer Therapie kann dennoch ebenfalls als Medizinprodukt gelten, wenn sie einen medizinischen Zweck erfüllt. So ist es etwa bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) (verordnungsfähige Apps), die beide Welten überbrücken: Als Medizinprodukte (meist Klasse I oder IIa nach MDR) zählen sie zur Medizintechnik und beruhen auf Digital-Health-Ansätzen, also Apps und Datenanalysen, die die Patientenselbstversorgung stärken. Begriffe wie Software as a Medical Device (SaMD) beschreiben wiederum Software, die eigenständig als Medizinprodukt fungiert und denselben regulatorischen Anforderungen unterliegt wie physische Geräte. Die Überschneidung von Digital Health und Medizintechnik zeigt sich auch in „Connected Medical Devices“: Ein körpernahes Gerät (Medizintechnik) sendet Messwerte digital an Apps oder Cloud-Plattformen (Digital Health). Moderne Wearables – etwa eine Smartwatch mit EKG-Funktion – können als Medizinprodukt zugelassen sein und zugleich Teil einer digitalen Gesundheitsplattform sein. Digital Health ergänzt und erweitert die klassische Medizintechnik, indem es neue Wege eröffnet, Gesundheitsdaten zu nutzen und Versorgung ortsunabhängig zu gestalten.

KI-Systeme bieten neues Innovationspotenzial in der Datenverarbeitung – unterliegen allerdings einer eigenen Regulierung, der KI-Verordnung. Dieser definiert KI-Systeme als maschinengestützte Systeme, die für einen in unterschiedlichem Grad autonomen Betrieb ausgelegt sind und nach ihrer Betriebsaufnahme anpassungsfähig sein können und aus den erhaltenen Eingaben explizite oder implizite Ziele ableiten, bspw. Ausgaben wie Vorhersagen, Inhalte, Empfehlungen oder Entscheidungen, die physische oder virtuelle Umgebungen beeinflussen können2. Damit sind diverse Technologien von klassischem maschinellem Lernen über probabilistische Modelle und tiefe neurale Netze bis hin zu agentischer KI gemeint.

Entsprechend müssen Medizintechnikhersteller, die solche KI-Systeme entwickeln oder einsetzen künftig der KI-Verordnung entsprechen. Viele bestehende MDR-Prozesse müssen gezielt um KI-spezifische Anforderungen ergänzt werden – z.B. beim Risikomanagement, Datenmanagement und der technischen Dokumentation. Die frühzeitige und systematische Anpassung der Prozesse und Dokumentationen ist entscheidend, um auch künftig rechtskonform und innovativ am Markt agieren zu können3,4.

Überblick über Medizintechnik und KI-gestützte Systeme

Im Feld Medizintechnik gehört Deutschland in Europa zu den markt- und forschungsstärksten Nationen5. KI wird als einer der zentralen Treiber der Veränderungen in der Medizintechnik in den nächsten Jahren eingeschätzt. Die Vielzahl geförderter Forschungsprojekte belegt das umfangreiche Engagement etwa des Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR)6:


Geförderte Forschungsprojekte des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR): Ophtalmo-AI, MR2go, SMCC, KonsensOP, COMPASS, RobExReha, REHATHESE, MobiStaR, SEPE, KIOM, KI-basierte Assistenzsysteme für prozessbegleitende Gesundheitsanwendungen (KIAS)

Tabelle 1: Geförderte Forschungsprojekte des BMFTR: Ophtalmo-AI, MR2go, SMCC, KonsensOP, COMPASS, RobExReha, REHATHESE, MobiStaR, SEPE, KIOM, KI-basierte Assistenzsysteme für prozessbegleitende Gesundheitsanwendungen (KIAS).


Warum aber bleiben viele dieser innovativen Ansätze in der Forschung verhaften und schaffen nicht den Sprung in die Anwendung? Einige Anhaltspunkte werden wir im nächsten Artikel dieser Serie aufarbeiten. Pionierbeispiele, wie das kürzlich zugelassene Medizinprodukt Prof. Valmed der Klasse IIb zeigen, dass innovative KI-basierte Lösungen die anspruchsvollen regulatorischen Anforderungen im Gesundheitswesen erfüllen können. Bei der Anwendung handelt es sich um ein KI-gestütztes Tool zur klinischen Entscheidungsunterstützung, welches als Co-Pilot auf Basis eines Large Language Models medizinisches Fachpersonal bei Diagnosestellung und Auswahl geeigneter Therapieansätze unterstützt.

Ein vertiefter Blick in die Registerlandschaft für Medizinprodukte offenbart zwei grundlegende Herausforderungen hinsichtlich der Untersuchung zugelassener KI-gestützter Anwendungen:

Die bestehenden Register – darunter das kostenpflichtige Medizinprodukte-Register des BfArM DMIDS, das DiGA-Verzeichnis, das Verzeichnis KI-basierte Radiologie-Anwendungen und das europäisches MDR-Registry (EUDAMED) sind fragmentiert, enthalten teils redundante Informationen sowie deutliche Uneinheitlichkeiten und sind nur umständlich nutzbar (Usability) bzw. hinter einer Paywall. Dies führt zu nachgelagerten Problemen: Systematischen Recherchen für eine evidenzbasierte Versorgungsforschung, regulatorischen Analysen und strategischer Innovationsförderung fehlen damit eine zentrale, transparente Datenbasis. Ohne interoperable und öffentlich zugängliche Informationssysteme bleiben ein umfassender Marktüberblick und die Identifikation von Lücken praktisch unmöglich. Zudem wird die Identifikation von Best Practices erfolgreich zertifizierter Produkte behindert, von denen Anbieter lernen könnten. Diese Unübersichtlichkeit ist der obersten Aufsichtsbehörde in Deutschland, dem BfArM bekannt7.

Das obige Beispiel von Prof. Valmed ist zudem ein Einzelfall. Im DMIDS finden sich derzeit nur 14 Anwendungen mit KI-Bezug während im internationalen Markt, insbesondere die USA, bereits über 800 KI-Anwendungen zugelassen sind8. Trotz der internationalen Relevanz der deutschen Medizintechnik ist das Innovationspotenzial im Bereich Künstliche Intelligenz kaum ausgeschöpft.

Handlungsempfehlungen

  1. Schaffung öffentlich zugänglicher und einfach nutzbarer Online-Register für Medizinprodukte mit der Möglichkeit, explizit nach KI-Anwendungen zu suchen: Ein zentral zugängliches, nutzerfreundliches Register mit Such- und Filterfunktionen speziell für KI-gestützte Medizinprodukte kann Transparenz schaffen und die Marktübersicht für alle Akteure verbessern. Dies erleichtert nicht nur die Orientierung für Hersteller und Anwender, sondern fördert auch gezielt den Wissenstransfer durch den Zugang zu bereits zugelassenen und bewährten KI-Lösungen.
  2. Stärkung des Austausches zwischen Fachcommunities der Medizintechnik und Digital Health-Branche: Das Verschmelzen der Branchen macht deutlich: Innovationen entstehen oft an den Schnittstellen von Disziplinen – deshalb sollten gezielte Austauschformate etabliert werden, die regulatorische, technologische und anwendungsnahe Perspektiven zusammenbringen. Besonders der Wissenstransfer zu nutzerzentrierter Entwicklung, Datenmanagement und regulatorischen Strategien kann von einer engeren Vernetzung zwischen Medizintechnik und Digital Health-Communities erheblich profitieren.
  3. Teilen von Best Practices: Regulierung und Marktorientierung von Anfang in die Innovationsprozesse integrieren. Durch die systematische Aufbereitung und das Teilen erfolgreicher Umsetzungsbeispiele können neue Akteure von den Erfahrungen etablierter Hersteller lernen. Besonders KMU, die die Medizintechnikbranche stark prägen, können von Best Practices profitieren. Im Fokus sollten dabei konkrete Lessons Learned zu regulatorischen Prozessen, klinischer Validierung, Usability Engineering und Markteinführung stehen, um praxisnahe Orientierung für den erfolgreichen Transfer von KI-Innovationen in den Markt zu bieten. 
     

Maxie Lutze leitet die Gruppe Demografischer und sozio-digitaler Wandel im Bereich Demografie, Cluster und Zukunftsforschung.
Benedikt P. Krieger ist Berater im Bereich Demografie, Cluster und Zukunftsforschung.

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Quellen: 
1 https://www.vdi.de/ueber-uns/presse/publikationen/details/digitalisierung-in-der-medizintechnik-herausforderung-und-chance
2 Art. 3 Nr. 1 AI-Act
3 https://quickbirdmedical.com/ai-act-medizinprodukt-mdr/
4 https://www.johner-institut.de/blog/regulatory-affairs/ai-act-eu-ki-verordnung/
5 https://www.medtecheurope.org/wp-content/uploads/2024/07/medtech-europes-facts-figures-2024.pdf
6 Als Projektträger betreuen wir zahlreiche dieser Projekte und nennen exemplarisch Beispiele.
7 Das BfArM führt kein zentrales Verzeichnis zur Klassifizierung in Verkehr gebrachter Medizinprodukte. Pauschale Aussagen zu Produktgruppen sind nicht möglich, da die Risikoklasse von Zweckbestimmung und Herstellerangaben abhängt. In Europa bringen Hersteller Medizinprodukte weitgehend eigenverantwortlich in Verkehr und müssen ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen, ggf. mit Beteiligung einer Benannten Stelle. Für die Überwachung von Herstellung, Inverkehrbringen, Betrieb und Anwendung sind in Deutschland die Landesbehörden zuständig. (https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Aufgaben/Abgrenzung-und-Klassifizierung/_artikel.html?nn=597198)
8 https://www.iqvia.com/blogs/2025/03/the-convergence-of-medical-devices-and-digital-health-whats-next